Regiekommentar
Am Anfang war die Schaukel
»Auf unserem knochigen Kolyma-Roadtrip bin ich persönlich (im geistigen, nicht filmischen Sinne), den Spuren meines Großvaters gefolgt, der diese Strecke kurz vor Stalins Tod 1953 durchmachte.
Eines Tages Ende 1952 wurde er als vermeintlicher Spion verhaftet, nur weil eine seiner Töchter ausgeprägte Affinität für Streichhölzer besaß und als Kind insgesamt drei Ortschaften anzündete. Der Großvater wurde abtransportiert und in einen Waggon der Transsibirischen Eisenbahn gesteckt. Nach über einem Monat kam er nun in Wladiwostok an und wurde dort auf ein Schiff verladen. Schließlich stieg er am vereisten Pazifik in der Bucht von Magadan aus und wurde durch die ganze Kolyma-Strasse bis zu ihrem Endpunkt gejagt. Unterwegs hat er eigentlich nichts Schlimmes erlebt und musste lediglich nur eine Holzschaukel für das Kind eines Lagerkommandanten bauen, der dort im Haus oberhalb eines Lagers zusammen mit seiner Familie lebte. Gerade als er damit fertig wurde, starb Stalin.
Auf Kolyma, wie im ganzen russischen Imperium, brach absolutes Chaos aus und allgemeine Verunsicherung machte sich unter der Bevölkerung breit. Im Zuge dieses Durcheinanders gelang es meinem Großvater, aus Kolyma zu fliehen und eines winterlichen Tages kam er in Turnschuhen aus Sibirien nach Hause zurück. Als ich ein Schaukel-Foto vor drei Jahren in einer Ausstellung über Warlam Schalamow (22 Jahre Haft auf Kolyma) in Berlin sah, setzte meine Erinnerung an die Schaukel-Erzählung ein und ich beschloss, einen Film über Kolyma zu machen. Mein Großvater sprach oft von einem damals noch unbekannten russischen Schriftsteller, einem gewissen Schalamow, dem er auf seiner kurzen und recht absurden Kolyma-Odyssee begegnete. Einer absurden, weil er ja schließlich solch einen langen Weg reisen musste, nur um auf Kolyma eine einzige, banale Kinderschaukel zu basteln. Deshalb titulierte dieser Autor meinen Großvater ironisch: ‚Künstler der Schaukel‘.
Nun setzte sich die Ironie des absurden Reisens in „Kolyma“ fort: Wo mein Großvater seine Schaukel ausstellte, habe ich einen Film gedreht. Von meinem Großvater habe ich auch einen recht doppelbödigen Kolyma-Spruch in Erinnerung aufbewahrt, den er ebenfalls von Schalamow hörte und immer dann auspackte, wenn es mal im Leben unnötig kompliziert wurde. Er sagte:
„Für Gott gibt es auf der Welt keine unmöglichen Dinge. Auf Kolyma passierten sie tagtäglich.“
Kommen Sie mit auf diese Reise und Sie werden es nicht bereuen. In diesem Sinne...«
Stanislaw Mucha