Interview mit dem Regisseur
Im Gespräch mit Fabian Schmalenbach
Warum wolltest du den Dokumentarfilm "Gemeinsam nüchtern" machen?
Ich fand einfach alles an Hof Fleckenbühl spannend: Dass hier Süchtige andere Süchtige aufnehmen, ohne Ärzt*innen und Therapeut*innen. Kann das funktionieren? Es gibt kontroverse Meinungen über den Hof, zum Teil von ehemaligen Bewohner*innen, die von sehr negativ bis total positiv reichen. Ich fragte mich: Wie ist der Hof denn nun wirklich? Und wollte mir ein eigenes Bild machen!
Was ist das Besondere an Hof Fleckenbühl?
Der Hof Fleckenbühl ist eine Selbsthilfeeinrichtung, in der Süchtige in der Gemeinschaft lernen können, ein drogenfreies Leben zu führen. Ärzt*innen, Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen oder sonstige Fachkräfte gibt es hier nicht. Die Drogenabhängigen unterstützen sich gegenseitig beim Entzug und ihrem Leben danach. Das Konzept besteht im Wesentlichen aus einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit und strikter Kontrolle. Auf dem drittgrößten Demeter Hof Deutschlands führen aktuell etwa 120 Süchtige ihr Leben nach den strengen Regeln, die ihnen die Gemeinschaft vorgibt. Alle diese Regeln sind von den Süchtigen selbst erarbeitet, um drogenfrei leben zu können. Viele der Süchtigen bleiben Jahre, Jahrzehnte oder sogar ihr gesamtes Leben auf dem Hof, da sie das Gefühl haben, nur hier clean bleiben zu können. Auch die Leitung des Hofs liegt in den Händen einiger weniger, langjähriger Mitglieder. Fleckenbühl ist als Drogentherapieeinrichtung staatlich anerkannt, obwohl viele Expert*innen die Methoden des Hofes als bedenklich einstufen. Einige Kritiker*innen sagen dem Hof sektenähnliche Strukturen nach, z.B. weil es eine strenge Hierarchie gibt und alle finanziellen Mittel der Süchtigen, inklusive Erspartem und Barmitteln, dem Hof überschrieben werden müssen.
Warum eine Langzeitbeobachtung von einem Jahr?
Fleckenbühl ist langfristig ausgerichtet, dies erfordert eine Langzeitdokumentation. Die Bewohner*innen sollen mindestens ein Jahr dort sein, empfohlen werden sogar zwei Jahre. Es war damit klar, dass wir mindestens ein Jahr drehen müssen, um die verschiedenen Entwicklungsschritte der Bewohner*innen zu zeigen.
Wie ist es gelungen, Vertrauen zu den Bewohner*innen des Hofs aufzubauen?
Wir haben während der Dreharbeiten immer wieder für eine längere Zeit selbst auf dem Hof gelebt. Dort haben wir im Gästezimmer geschlafen und mit den Bewohner*innen beim Frühstück, Mittag und Abendessen zusammen in dem großen Essraum am Tisch gesessen. Ohne, dass die Kamera dabei war, haben wir viel Zeit mit den Bewohner*innen verbracht. Mit den eigentlichen Dreharbeiten haben dann erst spät begonnen. Zu Anfang haben wir nur Schnittbilder vom Hof gesammelt. Dadurch, dass wir so oft da und so sehr ins Hofleben integriert waren, haben uns die Hofbewohner*innen irgendwann gar nicht mehr als Fremdkörper wahrgenommen.
Was ist der thematische Kern des Films? Was war deine Fragestellung?
Ich fand es interessant, dass auf Hof Fleckenbühl Menschen etwas in der Gemeinschaft schaffen, was sie allein nicht schaffen. Denn theoretisch könnte ja auch jede*r einfach so aufhören, Drogen zu nehmen. Aber einzeln schaffen sie es nicht, sie brauchen sich gegenseitig. Aber kann ein Drogenentzug ohne jegliche professionelle Hilfe gelingen?
Was waren die größten Schwierigkeiten und Herausforderungen?
Die eigentliche Idee war, Personen, die neu auf den Hof kommen, ein Jahr zu begleiten. Leider haben viele, die neu dabei waren, schnell wieder abgebrochen. Nachdem wir die ersten drei Monate auf dem Hof verbracht hatten, waren fast alle, mit denen wir bis dahin gedreht hatten, wieder weg. Wir mussten also sehr flexibel reagieren auf das, was passierte. Wir wussten nicht, wer bleibt und ob der Protagonist, der uns heute noch erzählt hat, dass er ein Jahr bleiben will, am nächsten Tag doch spontan wieder geht. Wir haben also mit sehr viel mehr Protagonist*innen gedreht, als schließlich im Film zu sehen sind.
Was war das Kamera- und Schnittkonzept des Films?
Wir haben rein beobachtend gedreht, nichts wurde inszeniert. Im Schnitt haben wir uns gegen fernsehtypische schnelle Schnitte und für eine ruhige Erzählweise mit langen Einstellungen entschieden. Die Interviews wurden fast vollständig ins Off gelegt. Die ruhige Atmosphäre, in der die persönlichen Geschichten aller Protagonist*innen richtig wirken können, war uns sehr wichtig.
Wie haben die Fleckenbühler darauf reagiert?
Sie haben eigentlich überraschend locker auf die im Film geäußerten Vorwürfe reagiert, da sie Kritik an ihrer Einrichtung auch gewohnt sind und die Kritikpunkte bereits kennen. Besonders überrascht hat uns, dass einige langjährige Bewohner*innen richtig dankbar waren, dass „Gemeinsam nüchtern“ alle Facetten des Hofs, auch die kritischen, zeigt und somit ein realistisches Bild zeichnet, da es vorher schon Berichterstattungen über den Hof gab, die rein positiv waren.
Was findest du selbst an dem Fleckenbühler Selbsthilfekonzept gut bzw. schlecht?
Ich betrachte Fleckenbühl von einem neutralen Standpunkt aus, so wie auch der Rest des Filmteams. Wir alle haben immer versucht, unsere journalistische Neutralität zu wahren. Natürlich haben wir intern auch bestimmte Dinge, wie die Hierarchie auf dem Hof, diskutiert. Es war uns aber wichtig, dass wir unsere Meinungen, die sich durchaus auch unterschieden, zurückhalten, damit wir den Protagonist*innen auf Augenhöhe und wertfrei begegnen konnten.