Regiekommentar
Florian Heinzen-Ziob über seinen Film „Klasse Deutsch“
»Während eines Kurzfilmprojekts mit SchülerInnen der Kölner Henry-Ford-Realschule zum Thema „Geld und Schulden“ entdeckte ich an einer Tafel einen seltsamen Stundenplan: Montag bis Freitag – 5 Stunden Deutsch. Immer nur Deutsch. Ich fragte, wer sich diesen sadistischen Stundenplan ausgedacht hatte, und stieß auf Ute Vecchio und ihre Vorbereitungsklasse, kurz VK. Ich war sofort fasziniert von der Leidenschaft und Energie, mit der in der VK Kinder aus der ganzen Welt mit der deutschen Sprache ringen. Gleichzeitig wurde mir klar, dass die Klassenlehrerin hier viel mehr leistet, als Grammatik zu pauken. Sie ist erste Ansprechpartnerin, wenn die Kinder Heimweh haben oder von Abschiebung bedroht sind. Sie repräsentiert schulische Strenge und schützt die Kinder gleichzeitig vor ihren allzu ehrgeizigen Eltern. Man könnte sagen, Ute Vecchio ist das erste Stück Deutschland, das die Kinder kennenlernen. Ich wusste sofort, dass ich über diese ungewöhnliche Schulkasse einen Film drehen musste und hatte das Glück, dass Klassenlehrerin Ute Vecchio und ihre SchülerInnen sich mit großer Energie und Freude der Kamera öffneten.
Mir ist es wichtig, mit diesem Film nicht die gleichen Bilder und Erzählungen zu reproduzieren, die schon in den Nachrichten laufen, sondern meine eigene Filmsprache zu finden. Die Fokussierung auf einen einzigen Raum, die Schulklasse, gibt mir die Möglichkeit, die Kinder nicht als hilfsbedürftige Objekte, sondern handelnde Akteure zu zeigen und den Blick weg vom Exotischen, auf das Verbindende und Bekannte zu richten. Auch die Entscheidung, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen, ist eine Strategie, ihn visuell aus der Zeit zu lösen, und es den ZuschauerInnen leichter zu machen, Verbindungen zur eigenen Schulzeit herzustellen. Zudem ist eine Schulklasse visuell ein sehr unruhiger Ort. Die Stühle sind rot und konkurrieren mit den bunten Heften, die auf den Tischen liegen, den farbigen Postern an den Wänden und den T-Shirts der Kinder. Das Auge findet keine Ruhe und die ProtagonistInnen, die eigentlich im Zentrum des Films stehen sollten, verschwinden in einem Chaos aus Farben. So entstand ein sehr persönlicher Film über Kindheit, Lernen und Ankommen.
Sechs Monate drehte ich regelmäßig in der VK. Wir kamen zur ersten Stunde und blieben bis zum Ende der fünften Stunde. Dabei bauten wir eine intensive Beziehung zu den SchülerInnen und der Lehrerin auf. Mit unserem kleinen dreiköpfigen Team wurden wir Teil des Unterrichts. In langen Einstellungen, die manchmal bis zu 30 Minuten dauerten, konnten wir die Lernsituationen einfangen, ohne sie zu stören. Außerdem machte ich zwei Filmkurse mit den Kindern, und sie konnten die Erfahrung machen, auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. Mit der Zeit gewöhnten sich die Kinder an die Kamera. Wir wurden unsichtbar und ohne es zu merken, wurden wir Teil der Klasse. Wir gingen selbst wieder zur Schule.
„Klasse Deutsch“ ist nun fertig. Ute Vecchio unterrichtet weiter in der VK-Klasse, mit neuen Kindern aus aller Welt. Die Kinder meines Films sind aufs Gymnasium gekommen, von der Schule geflogen oder abgeschoben worden. Sie alle gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Trotzdem glaube ich, dass die Zeit, die sie in der VK verbracht haben, ihnen auf ihrem weiteren Weg helfen wird. Vor allem ihre Lehrerin Ute Vecchio wird ihnen mit ihrer Mischung aus Strenge und Zuneigung ein Vorbild bleiben, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.«
Regisseur Florian Heinzen-Ziob und Kameramann Enno Endlicher