Regisseur
Rüdiger Sünner
1953 in Köln geboren
1972-85 Studium der Musik, Musikwissenschaften, Germanistik, Philosophie in Berlin und Köln
1985 Promotion über die Kunstphilosophie von Adorno und Nietzsche an der FU Berlin
Filmische Mitarbeit an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin
1986-1991 Studium Filmregie, Kamera, Drehbuch und Schnitt an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin
seit 1991 als Filmemacher, Autor und Musiker in Berlin tätig
Filmografie (Auswahl)
1991: „Die Legende vom Nil", Dokumentarfilm
1994: „Der Nachlass", Spielfilm
1997: „Schwarze Sonne", Dokumentarfilm
2004: „The Tree of Life", Dokumentarfilm
2006: „Geheimes Deutschland", Dokumentarfilm
2008: „Abenteuer Anthroposophie", Dokumentarfilm
2010: „Das kreatve Universum", Dokumentarfilm
2011: „Nachtmeerfahrten", Dokumentarfilm
Regiekommentar
Für einen Filmemacher ist es nicht schwierig, vom Werk C.G.Jung's fasziniert zu sein. Auch ich bin mit meiner Kamera oft auf der Suche nach dem, was Jung als Archetyp oder Urbild beschreibt. Ein gutes Filmbild enthält immer auch einen Überschuss über das realistisch Abgebildete hinaus. Stimmt die Perspektive und das Licht, kann aus einem Baum das Symbol des "Weltenbaumes" werden, aus einem Fluss das Sinnbild für die verborgenen Tiefen unseres Unbewussten, die so wenig greifbar sind wie der ständige Formenwechsel des Wassers. Dasselbe gilt für Gesichter, Gestalten, für Licht, Schatten und alle Elemente der Natur. Wähle ich für einen Film die Struktur einer Reise, so wird oft eine Helden- oder Nachtmeerfahrt daraus: ich schicke eine Figur durch Abenteuer und Prüfungen, aus denen sie am Ende verwandelt hervorgeht. In solchen Filmreisen beginnt, ohne dass es das Publikum oft weiss, Odysseus im 21. Jahrhundert wieder zu leben oder der ägyptische Sonnengott Re, der sich jede Nacht auf seiner Unterweltfahrt regeneriert.
Die Mythen, deren Strukturen Jung so unermüdlich erforscht hat, enthalten die Urformen aller Geschichten, auch die des modernen Kinos. Grosse Filme basieren auf uralten archetypischen Strukturen, egal ob sie - wie "Herr der Ringe" oder "Avatar" - mythologische Inhalte transportieren oder nicht.
Jung's Werk ist für mich die grosse Schule des symbolischen Denkens und betrifft damit alle wesentlichen Bereiche unseres Lebens. Unsere Nacht- und Tagträume bestehen daraus, Literatur, Malerei und Kino, die Metaphern unserer Alltagssprache und auch der Bereich des Spirituellen, der in unserer Zeit immer wichtiger zu werden scheint. Jung hat mir den Blick dafür geschärft, wie mächtig Symbole und Archetypen sind, aber auch, wie verhängnisvoll ihre Wirkung sein kann. Dieser bildhafte Bodensatz unseres Denkens scheint Ähnlichkeiten mit dem Element Feuer zu haben: er kann wärmen, anfeuern und inspirieren, aber uns auch verbrennen. Gerade meine Beschäftigung mit der Pseudo-Mythologie der Nazizeit hat mir klargemacht, wo Archetypen - wie Jung sagt - auch "zum Ungeist ausschlagen können."
Jung hatte nach eigenem Bekunden sehr durchlässige "Zwischenwände": das war Fluch und Glück zugleich. Fluch, weil es ihn zur Zeit des "Roten Buches" in psychoseähnliche Zustände führte und in das Gefühl der Faszination gegenüber den "Wotanskräften" der völkischen Bewegung.
Glück, weil er in Bereiche hineinschauen konnte, die dem Normalsterblichen verwehrt bleiben und er sich vom Reichtum der mythischen Geschichten ernähren konnte.
Jung hat mir auch den Blick für modische Spielarten des Spirituellen geschärft, für seichte Esoterik ebenso wie für eine unkritische Anbetung alles Fernöstlichen. Der Europäer, so sagte er einmal, dürfe sich nicht durch spirituelle Praktiken um seine "dunkle Ecken herumdrücken": ein deutlicher Satz, der etwa die heutige Wellness-Esoterik entlarvt, in der immer lächelnde Gurus und Channeling-Experten ihre seichten Botschaften unters Volk bringen. Jung's Spiritualität gräbt tiefer, setzt sich der Begegnung mit dem "Schatten" aus, mit dem "verbrannten König" in uns, mit den Teilen, die erstmal nicht in die Atmosphäre von Räucherstäbchen und Klangschalen passen.
Jung hat in mir die individuelle Suche nach Spiritualität bestärkt, unabhängig von Moden und Meistern, das Leben mit den eigenen Bildern, die einen möglichen Urgrund des Daseins eher umkreisen als konkret benennen. Seine Tiefenpsychologie kommt für mich als Kunst daher, nicht als Wissenschaft oder Religion und ist daher gegen Dogmatismus und abstrakte Abgehobenheit gefeit. Es war schön, eine solche Stimmung auch an Drehorten für diesen Film zu finden, die eng mit Jung verbunden sind: etwa am Turm zu Bollingen oder im sonnendurchfluteten Garten der ehemaligen Eranostagungen bei Ascona. Hier flimmert die Luft vom mehrdeutigen, labyrinthischen, poetischen Leben unserer inneren Bilder: vom Abenteuer, in diesen Tiefen immer Neues und Unerwartetes zu entdecken und eher auf endlose Variationen als auf "letzte Wahrheiten" zu stossen.